die sache mit der unberührtheit

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weil ich das wort “eklektizismus” nicht richtig aussprechen konnte, schickten meine eltern mich ab der zweiten klasse auf ein internat. meine zeit dort war nicht toll. damals hatte ich noch nicht so schöne männerbrüste wie heute, deshalb hatten die lehrer kaum interesse an mir. oft lag ich nachts allein in meinem zimmer im doppelstockbett, starrte auf die unterseite des leeren bettes über mir, und wünschte, ich könnte mit meinem zimmernachbarn tauschen.

aber es ist ja nicht so, als hätte ich es nicht versucht.

zum sportunterricht erschien ich stets in einem netzhemd und diesen in den 80er jahren beliebten fussballerhosen mit eingebauter vorschaufunktion. aber selbst da. das eine mal hielt ich 2 volleybälle in der hand, lief über den schwebebalken und hatte einen lolli im mund. keine reaktion. eigentlich ging’s mir damit ja noch gut. sagte zumindest pascal immer. aber pascal hatte es ohnehin gut. er war der liebling unseres sportlehrers, war mit ihm im zweier kajak-team unserer schule, reiste dafür mit ihm zusammen quer durchs land und bekam – natürlich – immer einsen. im normalen unterricht war ich als einziger verantwortlich für den tafeldienst und ließ regelmäßig den schwamm fallen. nichts. nur der obligatorische furzwitz aus den hinteren reihen. im biologieunterricht hatten wir ein modell des menschlichen körpers vorn stehen. nach den stunden stand ich neben diesem, griff ihm wie einst michael jackson in den schritt, machte einen schmollmund und nickte wissend in richtung des biologielehrers, während ich ihm in die augen starrte.

irgendwann gab ich es auf, unberührt und unbeachtet. ok, ich wurde von der schule verwiesen. ich musste mir eine neue masche suchen, sogar pascal, mittlerweile klosterschüler, war, wie ich im ard brennpunkt sah, erfolgreicher. natürlich machte ich es mir nicht einfach und passte mich der mode an. wie ich später erfuhr, steckt man die hosen bei kniehohen kringelsocken nicht in selbige. immer noch lief ich unberührt und unbeachtet durch die gegend. irgendwann sah ich im fernsehen eine dokumentation über einen anderen hässlichen mann, der sich einfach auf eine bühne stellte und mit wirren theorien um sich warf. er nannte sich komödiant, sprach von groupies und ich beschloss, dasselbe zu probieren, wirre theorien hatte ich auch auf lager.

zum beispiel: wieso heißt es karl-bonhoeffer-nervenklinik? der war doch gar nicht gut im verrücktsein. oder die betty-ford-klinik. die hat nie gesoffen wie ein loch. viel passender wären doch charles-manson-nervenklinik und harald-juhnke-klinik. dann wüsste man, woran man ist.

naja. lief jetzt auch nicht so überragend. schnell verwarf ich auch diesen plan, immer noch unberührt und unbeachtet. bei stern tv erfuhr ich, dass im internet alles voller schweinkram ist und gerade webseiten wie chatroulette die heutige jugend verderben würden. das weckte mein interesse. ich kaufte mir einen computer und ein internet. ich besuchte diese chatroulette-seite und sah, wie sich andere männer selbst berührten. ich warf computer und internet wieder weg. so langsam wurde ich es leid.

ein letzter anlauf. ich besuchte einen massagesalon, hier würde ich wohl berührt werden, zwangsweise. die nette dame am empfang fragte mich aus, welche beschwerden ich hätte und verwies mich dann an massagekabine 69. ich ging in die kabine. dort stand eine junge dame. sie sagte mir ich solle mich ausziehen und hinlegen. ich zog mich aus, fixierte die dame mit meinem blick und legte mich erwartungsvoll auf die liege. “nein, auf den bauch legen.” diese aufforderung verwunderte mich zuerst, aber dann wurde mir klar, wozu das loch in der – wie ich zuerst fälschlicherweise annahm – kopfstütze wirklich gedacht war. ich legte mich also auf den bauch und positionierte mich so, dass mein…naja. ein wenig unbequem war das schon, ich musste mich mit meinen händen am boden abstützen und bekam schnell einen roten kopf. “was machen sie da? in das loch kommt ihr gesicht!” “äh, ich bin lieber geber als empfänger” in diesem moment gab es einen blitz und nach dem ersten schock merkte ich, wie sich im raum rauch ausbreitete. plötzlich wurde ich ruppig gepackt und gegen die wand gestellt, meine beine wurden gespreizt und ich wurde laut – und wie ich empfand auch äußerst unhöflich – von einer sehr maskulin wirkenden dame aufgefordert, mich auszuweisen. dies als teil eines seltsamen rollenspieles erachtend, kicherte ich nur und sagte, dass sie sich das schon verdienen müsse. plötzlich merkte ich, wie mein körper von oben bis unten abgetastet wurde. ich betete, dass mein intimbereich nicht verschont würde. meine gebete wurden erhört. und wie.

wie sich später herausstellte, handelte es sich bei diesem rollenspiel um eine razzia der einwanderungsbehörde. die polizistin verklagte mich auf schmerzensgeld, aber ich musste die massage nicht bezahlen. win/win.

Von Silvester Klement