Geheimagent Ulf Torpedo (3/X)

G

1:

Der Pfarrer würde recht behalten – Ulf würde vergessen, was er gesagt hatte. Er starrte aus dem Zugfenster auf das vorbeihuschende Österreich und fragte sich, was der Pfarrer wohl gesagt hatte, damit er sein Leben endlich wieder damit abgleichen könnte, was der Pfarrer ihm gesagt hatte.
“Ulf.”
“Wer spricht da?”
“Das Zugfenster.”
“Was.”
“Was.”
Ulf beschloss, nicht mehr an den Pfarrer zu denken und das Zugfenster zu ignorieren, es gab einen Fall zu lösen, der schon etliche andere Agenten das Leben gekostet hatte. Wegen dieses Kriminalfalls saß er im Zug durch Österreich, sein genaues Ziel war ein kleines Örtchen namens Hitlerstadt. Bei seiner Durchfahrt durch Zigeuner-Diebe an der Donau fiel ihm auf, dass die politische Korrektheit in diesem Land wohl noch nicht bei den Ortsnamen angekommen zu sein schien. Als der Zug Lesben-Zerfickung an der Großglocknerstraße passierte, wurde er kurz sehr wütend und checkte seine Privilegien.
Glücklicherweise wurde Ulf mit dem Checken seiner Privilegien genau bei der Einfahrt in den Bahnhof von Hitlerstadt fertig und so konnte er entspannt aus dem Zug zum Taxistand rennen.
“Zum Hauptquartier, bitte. Ich habe keine Zeit zu verlieren, deshalb rannte ich jetzt gerade auch vom Zug zu Ihnen. Menschenleben stehen auf dem Spiel! JEDE SEKUNDE ZÄHLT! VERSTEHEN SIE DAS? ES GEHT UM LEBEN UND TOD! Na gut, ein bisschen geht’s auch um meinen beruflichen Ehrgeiz, mein Bruder Konrad Tornado reist ständig um die ganze Welt und wird von allen immer nur “gefährlichster Mensch der Welt” genannt und wissen Sie, wie das ist, wenn man mit so jemandem aufwächst?! ICH STEHE NICHT EINMAL IN SEINER AUTOBIOGRAFIE! Totgeschwiegen hat er mich. TOTGESCHWIEGEN! So als ob ich nicht da wäre. So als ob egal wäre, dass ich existiere. Nein, nein. Die Genugtuung werde ich ihm nicht lassen, ich werde zeigen, wozu Ulf Torpedo imstande ist, der ganzen Welt werde ich das zeigen und wer lacht dann? WER LACHT DANN?! Wenn die Presse über mich berichtet und mich sämtliche Länder der Welt zu Ehrenbürgern machen und meine einzige Sorge ist, welchem Supermodel bei der Geburt meiner 17 Kinder nicht die Hüften brechen, wer lacht dann?!”
“Welches Hauptquartier meinen Sie?”
“Ich laufe wohl besser.”
Ulf Torpedo stieg aus dem Taxi und rannte zum Hauptquartier.

2:

Vor dem Hauptquartier angekommen schwitzte Ulf kurz, erzeugte dabei einen erotisierenden Moschusgeruch, mit dem er drei vorbeilaufende kleinwüchsige Männer, die sich als Frauen identifizierten, schwängerte und brachte die Gender-Debatte so auf eine ganz neue Ebene.
Ulf kicherte, er konnte spüren, dass gerade eine Tierart ausstarb.
Noch immer stand er vor der Tür und harrte aus. Ulf begann sich zu wundern, wieso er nicht in der Lage war, einzutreten. Während er darüber nachdachte, wurde ihm bewusst, dass er austreten musste.
“Was für ein Zufall.”
Jetzt hatte er es wieder getan: In der Öffentlichkeit mit sich selbst geredet. Er hoffte, dass das niemand mitbekommen hatte. Just in diesem Moment lief ein Mann mit Hut an ihm vorbei.
“Ey, Mann mit Hut!”
“ICH HABE EINEN NAMEN!”
“Kenn ich den?!”
“Sie hätten es zumindest einmal versuchen können. Die Menschen geben sich heutzutage viel zu schnell auf, weil sie Annahmen treffen, ohne auch nur eine Sekunde zu reflektieren, ob es nicht vielleicht eine greifbare Wahrheit gibt.”
“Äh, okay. Hutfried?”
“Netter Versuch.”
Ulf verlor die Geduld, riss die Tür zum Hauptquartier auf, machte einen Schritt vorwärts, schlug die Tür hinter sich zu, drehte sich um und streckte Hutfried die Zunge raus. Hutfried nahm daraufhin seinen Hut ab und tat so, als würde er etwas aus dem Hut zaubern – einen Mittelfinger. Ulf holte sein Messer raus, presste es an seine Kehle und bewegte es von links nach rechts. Leider unterschätzte Ulf seine eigene Kraft und schnitt sich dabei ziemlich tief, eine sofort einsetzende starke Blutung war die Folge.
Während all das geschah, stand Ulf im Hauptquartier, genauer: In der Lobby. Der Portier beobachtete die Geschehnisse missbilligend.
“Wenn Sie auf den Teppich bluten, müssen Sie das zahlen, Torpedo!”
“Fiwwwwwwffffffsssssss…”
Ulf bemerkte schnell, dass er mit dieser großen Menge schnell aus seinem Hals austretenden Blutes nicht sprechen konnte, weshalb er auf Gebärdensprache umschwenkte. Leider war das einzige Wort, das er in Gebärdensprache sagen konnte, “Schäuble”. Glücklicherweise war der Portier Grieche und die Anspielung saß.
“Jetzt hör auf mit der Scheiße und geh hoch zu Nummer 9. Ich kümmer mich um Hutfried. WEHE DU BLUTEST AUF DEN TEPPICH!”
Ulf wunderte sich, wieso der Portier den Namen des Mannes mit Hut kannte, da ihm aber die Vokabeln fehlten, um das auszudrücken, blutete er nur ein wenig weiter und schlürfte zum Fahrstuhl.
Ulf begann zu frieren und drückte den Fahrstuhl-Ruf-Knopf.

3:

*BING*
Ulf fragte sich, was Microsoft dem Geräusch des ankommenden Fahrstuhls gezahlt hatte, damit es wie seine Suchmaschine klingt. Er versuchte, sich an den Namen des neuen CEOs von Microsoft zu erinnern. Irgendwas mit V? Ulf hasste es, wenn er sich selbst beim Lügen ertappte – natürlich war das Erinnern an diesen Namen kein Erinnern, er hatte ihn vielleicht zwei-, dreimal gelesen, aber gekannt hatte er ihn nie, nein, das wäre eine Lüge. Ulf beschloss, erst einmal die Blutung zu stoppen und in den Fahrstuhl zu steigen.
Im Fahrstuhl wandte er sich dem Iris-Scanner zu, kramte das Foto seiner Tante Iris aus dem Portemonnaie und hielt es davor. Die Fläche der zuvor verfügbaren Schalter drehte sich um und offenbarte einen Daumenabdruckscanner. Ulf drückte den “Daumen vergessen”-Knopf, kramte sein Handy hervor, öffnete die E-Mail-App und wischte wieder und wieder nach unten, um die “Passwort zurücksetzen”-Mail zu erhalten. Dann fiel sein Blick auf die obere Leiste des Bildschirms: Edge.
“Nööhhhhhhhhhhhhnnnnnnnnnn!”
Ulfs Schrei wurde von der immer noch starken Hals-Blutung abgewürgt. Er beschloss, nicht mehr aus dem Hals zu bluten. Genau zum richtigen Zeitpunkt, stand ihm das Blut mittlerweile doch schon bis zum Hals. Von außen jetzt. Ulf musste an Donald Trump denken und dessen Plan, den Sumpf auszutrocknen. Leider dachte er das mit seinem Arsch, weshalb sich ein Furz bildete, der nun langsam aber sicher nach draußen wanderte und damit auf circa 90cm Höhe in einen Fahrstuhl voller Hals-Blut-Suppe. Einmal Ulfs Anus entkommen, bewegte sich der Furz gleichmäßig wabernd nach oben. Ulf konnte spüren, wie er seinen Rücken entlangfuhr, das davon ausgelöste Kitzelgefühl ließ ihn lachen. Leider erneut mit dem Arsch, wodurch sich nun ein Bröckchen Kot auf den Weg nach draußen machte.
Die Blase war gerade dabei, die Blutoberfläche zu durchstoßen, als sich mit einem *BING* die Fahrstuhltür öffnete und das Blut – überraschend dickflüssig und zäh – aus der Fahrstuhlkabine gespült wurde. Zu Ulfs Unglück stand Nummer 9 jedoch direkt vor dem Fahrstuhl, um keine Zeit zu verlieren und ihn direkt briefen zu können. Glück im Unglück: Da Nummer 9 beim Nachdenken oft Nasenbluten bekam, sind alle seiner Unterlagen menschenblutfest.
“TORPEDO!”
“Chef?”
Nummer 9 schob das Blut mit der Hand an seinem Körper herunter und ließ es auf den Rest des Blutbreis fallen. Er übersah dabei das Bröckchen Kot, das ihm nun an der Stirn klebte. Ulf Torpedo hatte diesen einen Nudelsketch von Loriot gesehen, also wusste er, dass den Kot anzusprechen nur zu unseriösen Verwirrungen führen würde, weshalb er das Thema einfach ignorierte.
“Torpedo, wenn sie diesen Auftrag erledigt haben, müssen sie sich dringend vom Arzt durchchecken lassen, die Konsistenz und der Geruch ihres Blutes machen mir Sorgen.”
“Ich bin seit 4 Stunden nicht gekommen.”
“Was hat das…”
“…”
“NEHMEN SIE DIE HAND AUS DER HOSE!”
“Tschuldigung.”
“AUS MEINER AUCH!”
“Hihi.”
“Torpedo, für so etwas haben wir jetzt wirklich keine Zeit. Da der Flur mit ihrem Blutejakulatwasauchimmergemisch kontaminiert ist – ich hab bei der Geburt der Zwillinge mit der Kamera voll draufgehalten als meiner Frau der Damm riss und alles, wirklich alles überall war, aber das ist das mit Abstand übelriechendste und ekelhafteste…wieauchimmer – lassen Sie uns in den War Room gehen, wir dürfen keine Zeit verlieren.”
“Sie haben da übrigens…”
“WIR HABEN KEINE ZEIT, TORPEDO! LOS!”

Von Silvester Klement