Der Hass

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Irgendwie lache ich immer. Ich mag Menschen einfach. Wenn ein Mensch pro Tag um die 16.000 Wörter sagt, ist Hass bei mir nie dabei. Dabei gibt es so viele, die Hass verdient haben. Ja, ich rede mit dir, selbstverliebter Hipster, der in Zeitlupe aus der U8 steigt und seinen Kopf in Richtung der behaarten Seite des Sidecuts schüttelt. Siehst du hier irgendwo Paparazzi? Gibt’s am Kottbuser Tor einen Ausgang, der direkt auf den roten Teppich der Oscar-Verleihung führt? GIBT ES? GEH AUS DEM WEG!

Und dir, unbekannter Vollidiot, der mittig vor der Tür der ankommenden U-Bahn steht. Diese Tür öffnet sich in der Mitte. Die geht da auseinander und du, JA DU!, unbekannter Vollidiot, bleibst GENAU DA stehen. Was hast du gedacht? Dass die Menschen, die du in diesen fensterähnlichen Objekten sehen kannst, eine unfassbar teure Installation der BVG sind, damit man denkt, dass die Waggons total beliebt sind?! WIRD DA ASIATISCHES ESSEN VERKAUFT?! Was hast du da gesehen? Einen schüchternen asiatischen Gentleman in unauffällig versteckter Küchenkleidung, der auf gebratenen Nudeln kaut oder eine Horde genervter Leute, die in deine Richtung starren und am liebsten loslaufen würden, aber von irgendetwas zurückgehalten werden, das wie eine Wand, nein, EINE TÜR!, EINE U-BAHNTÜR! aussieht? NA? GEH AUS DEM WEG!

Oh, du stehst an der Tür, weil du es eilig hast. Verstehe ich. Klar, check ruhig nochmal den Sitz deiner Frisur in der Reflektion der Scheibe. Hey, Hauptsache die Haare sitzen, wenn du aussteigst. Wenn dein Model Agent dich gleich an der U-Bahnstation Johannisthaler Chaussee abholt, will er natürlich nicht enttäuscht werden. Aber wenn die U-Bahn den Bahnhof erreicht hat…DANN DRÜCK DEN VERDAMMTEN KNOPF! Und an Supermarktkassen ist dieser tatterige “Hoppla, etwas passiert, von dem ich genau wusste, dass es passieren wird”-Move ja vielleicht noch süß, Oma, ABER NICHT IN DER U-BAHN! U-BAHN IST KRRRRIEG! Kennst du doch eigentlich. DRÜCK DEN KNOPF ODER GEH AUS DEM WEG!

Hey, Tourist, der mitten auf der Treppe merkt, dass er gar nicht genau weiß, wo er hinwill! Kannst du fliegen? Kannst du? Nein? DANN GEH AUS DEM WEG! Weisst du noch diese Scherze, die du vor deiner Abreise gemacht hast, dass die Deutschen ja bestimmt alle Nazis sind und dich umbringen werden? SIE SIND WAHR, WENN DU NICHT AUS DEM WEG GEHST! OK, du willst dich in dieser dir völlig fremden Stadt zurechtfinden. Dafür gibt es Karten. Auch in U-Bahnstationen. Doch wo sind diese Karten? Sind sie so angebracht, dass man sie von der Mitte der Treppe aus am besten erkennen kann? SIND SIE DAS? GEH AUS DEM WEG!

Das gilt auch für dich, OMA! Es gibt Fahrstühle. Und Treppengeländer. Ja, es ist ein bisschen so wie damals nach dem 70jährigen Krieg, als du Schwimmen gelernt hast und das erste mal im Tiefen warst und alles ganz verrückt war und dich ein wenig überfordert hat. Am Ende hast du es ja doch hinbekommen und dir gesagt, dass du alles schaffen kannst, wenn du es nur willst. ABER NICHT IN ZEITLUPE! GEH AUS DEM WEG!

Und ihr seid ja nicht immer nur in der U-Bahn. Na, Gruppe von mehreren Leuten? Wie geht’s euch? Klasse, wie ihr euch High Fives gebt und untereinander stabile zwischenmenschliche Beziehungen aufgebaut habt. Da ist keine Rangordnung erkennbar, ihr seid alle auf Augenhöhe. Und so in Formation laufen ist echt klasse, oder? IHR SEID KEINE FLUGZEUGE, GEHT AUS DEM WEG!

Hey, Fremder, warum so eilig? Ein wichtiger Geschäftstermin? Die Geburt deines ersten Kindes? Ist der Akku deines Mobiltelefones leer und du musst schnell noch auf eine Whatsapp-Nachricht mit einem “LOL” antworten? Ja, nimm dir ruhig den Weg, ich weiche dir gern aus. Du bist wichtig. WO SIND DEINE MANIEREN, DU HURENSOHN? GEH AUS DEM WEG!

Und ja, der Generationenvertrag ist einer der Standbeine dieser Gesellschaft. Jeder so schnell, wie er kann. Im Park des Sanatoriums. NICHT AUF DER STRASSE UND ERST RECHT NICHT AUF BAHNHÖFEN!

Wobei ich lernen musste, dass wir Berliner da ein Luxusproblem haben. Ich war letztens in Hamburg, da sind die Wege eng und die Leute genauso dumm. Also vielleicht gibt es tatsächlich Schlimmeres. Und ich hoffe, eines Tages dieses Schlimmere auch erreichen zu können. Ohne, dass Leute im Weg stehen. Vielleicht kaufe ich mir auch einfach einen Panzer in China. Die lösen dieses Problem ja recht zuverlässig. Himmlischer Frieden.

Von Silvester Klement