berliner winter

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berliner winter sind scheiße. ich ertrag’ den sommer – und die mädels in den kurzen und engen kleidungsstücken – mit der hoffnung, dass der winter ja vielleicht mal dick wird. dann, so gegen ende januar, fällt der erste schnee, liegt eine woche, um schließlich, sogar ohne mithilfe von tony montana, vom einen auf den anderen tag komplett zu verschwinden. das einzige überbleibsel eine merkwürdige salz-sand-mischung auf gehwegen, die das profil von sneakern zerfickt und lauter knirscht als ein rentner bei der morgengymnastik.

früher gab es mal unterschiedlichen schnee, backschnee und pulverschnee. mit dem einen gingen schneebälle, mit dem anderen nur einseifen. heutzutage gibt es nur noch eine sorte, die aber regional verschieden, abhängig davon, ob es hundebesitzer in der gegend gibt oder nicht.

was natürlich nicht heißen soll, dass es nicht kalt ist. dass lässt sich sogar nachprüfen. kalt ist es, wenn man ins auto steigt, 5 minuten einfach nur dasitzt und die direkt umliegenden scheiben soviel durchblick offenbahren wie die führung des deutschen fussballbundes. am meisten spaß macht die kälte, wenn man mit dem fahrrad ohne handschuhe unterwegs ist. diese augenblicke, in denen man so schnell wie möglich sein fahrziel erreichen will, aber nur schrittempo fahren kann, weil die fahrradwege vereist sind, bieten eine tolle ausgangssituation für eine außerkörperliche erfahrung oder einen schönen überblick über das eigene schimpfwort-repertoire.

auch schön ist u-bahnfahren im winter. hier bietet sich eine gute gelegenheit, körpergefühl und -navigation zu verbessern. für ersteres einfach den weg zur u-bahn station – dick eingepackt mit mütze, schal, handschuhen – rennen und in der u-bahn, wobei sich hierfür auch ein beheizter bus eignet, dann den gefühlszustand von grillkartoffel in alufolie bis michael jackson im solarium einordnen. für zweiteres den ganzen tag rotze in der nase sammeln und dann, wenn man in der u-bahn sitzt, versuchen, bei jedem öffnen der türen die nase so hochzuziehen, dass das schniefgeräusch vom geräusch der sich öffnenden türen übertönt wird.

überhaupt sind freizeitaktivitäten eher nach drinnen verlegt, spätestens nach 15 minuten ungeschützten kontaktes der bloßen hände mit der frostigen luft wird das bogenschießen auf tauben unangenehm schmerzhaft. ganz zu schweigen von den eisfüßen, die man nicht verhindern kann, wenn man bei minusgraden gehwege vor naheliegenden altersheimen bewässert. und was kann man im winter drinnen nicht alles schönes machen, was im sommer nicht geht. zum beispiel ab 4 uhr nachmittags das licht an. oder den kids aus der nachbarschaft beibringen, wie man durch einfache zuhilfenahme von backpulver seinen profit astronomisch steigert. falls man brillenträger ist, kann man die behauptung überprüfen, dass brillen nicht beschlagen, wenn man einen raum rückwärts betritt. das ist meist sogar noch unterhaltsamer als das fernsehprogramm, wo die tv-sender mit hochgehypten z-promis um sich werfen, als wäre niveau der ministerpräsident von nepal.

in solchen momenten träume ich dann immer vom sommer in berlin, den mücken in der nacht, den schweißnassen sitznachbarn in der u-bahn und wolfgang thierse in einer tanga-badehose, wache auf und stürze mich vornüber in einen haufen gelben schnee.

Von Silvester Klement